Einführung zu Anne-Marie Salome Brenner
zur Ausstellungseröffnung "Gesichter – Landschaften – Wesen" in der Hauptstelle der Tübinger Kreissparkasse am 3. 5. 2006
Ich soll Ihnen heute Abend ein paar einführende Worte zu Anne-Marie Salome Brenner sagen – ich muß zugeben, das fällt mir schwer. Nicht nur wegen einer großen persönlichen Nähe sondern zugleich auch wegen einer fast ebenso großen Distanz.
Anne-Marie Salome Brenner kommt aus Lebensumständen, die ich und die meisten von Ihnen uns kaum vorstellen können. Ihre Kindheit hat sie einmal als verzweifelt und phantasiegeladen bezeichnet. Eine außergewöhnliche Kreativität und Sensibilität brachte sie schon von Anfang an mit. Gewalterfahrung gab es bereits in früher Kindheit und die schrieb sich über die Jahre fort. (Ich will hier nur andeuten, daß es sich um eine spezifisch weibliche Erfahrung spezifisch männlicher Gewalt handelt).
Andererseits gab es früh Reisen, eine enge Beziehung Natur, zur Wiese vor der Haustür und zum Mittelmeer, eine sehr frühe Begeisterung für Literatur und das Theater: Hölderlin, Goethe, Brecht – sie wollte Schauspielerin werden.
Als Jugendliche sieht sie die Bilder der Vernichtungslager und kann, wie Paul Hoffmann in seinem Essay in ihrem Buch "menschenorts" schreibt, "nicht verstehen, daß der Alltag um sie herum so weiterlief, als sei nichts geschehen, nachdem dies geschehen war" . Die Unfähigkeit zur Verdrängung, aber auch die entschiedene Ablehung von Verdrängung bleibt bestimmend für ihr Werk und ihr Leben – ebenso die Nähe vor allem zu den jüdischen Ermordeten.
1975 bricht plötzlich die Dichtung aus ihr hervor (bei der Lektüre von Georg Trakls und Else Lasker-Schüler die Erkenntnis, daß es eine Sprache gibt, in der sie schreiben könnte) und kurz darauf die Malerei. Die Erkenntnis und der Entschluß, daß Malerin und Dichterin ihr eigentlicher Beruf ist, gegen alle Erwartungen und Normen der Gesellschaft, braucht Jahre.
Zunächst probiert sie alles aus, malt mit Deckfarben, Nagellack, Tusche, Aquarell, Öl, arbeitet mit Ton und collagiert. Ihr Handwerkszeug bringt sie sich weitgehend selber bei.
Als Dichterin wird sie einem größeren Publikum bekannt, als Erich Fried 1983 ihren im Selbstverlag erschienen Gedichtband "Isolde im Winter" rezensiert. Eine gemeinsame Lesung hier im LTT findet vor hunderten von Zuhörern statt. Fried bekennt "manches dafür geben zu wollen, sie selbst geschrieben zu haben." Dies führte auch zu Mißverständnissen: Anne-Marie Salome Brenner ist keine Fried-Adeptin, was ihn an ihr fasziniert hatte war eben der Gegensatz: ein unmittelbares, farbstarkes und musikalisches Dichten, das gerade nicht seines war. Berührungspunkte gab es allerdings im emanzipatorischen Anliegen und im politischen Bewußtsein.
In der Malerei hat sie 1983 bereits zu einem sehr eigenen Stil gefunden. Nun malt sie förmlich um ihr Leben – unter unsäglichen Bedingungen von Beengtheit, äußerer und innerer Not, im Kampf mit den Behörden, geschieden mit einem vierjährigen Sohn, für den sie sorgen muß. So malt sie "Die Anstalt" auf dem Fußboden eines 7 Quadratmeter kleinen Zimmers, große Landschaften im Format 150 x 200 cm auf der einzigen freien Wand über dem Bett. Die Farben spart sie sich – wörtlich – vom Munde ab. Eine Unmenge von Bildern entsteht, von denen viele heute verschenkt, verstreut, wohl auch zerstört sind – und immer noch sind auch viele erhalten. Sie würden eine eigene Ausstellung füllen. Gleichzeitig bewältigt sie eine rege Lesungs- und Ausstellungstätigkeit.
1984 schließlich – und eben nicht schließlich – der furchtbare Fenstersturz aus dem dritten Stock auf das Tübinger Pflaster. Sie lebt weiter mit zerschmetterten Knochen, dem, was die Medizin eine partielle Querschnittlähmung nennt und schier unerträglichen Schmerzenbis heute.
Aber sie nimmt dieses Leben an, malt und schreibt weiter, wird erneut schwanger, wird bedroht und verlassen, zieht Ihre Tochteralleine groß, macht Ausstellungen, unter anderem in Arezzo und Zürich, durchlebt Freude und Sorgen mit ihren Kindern, nimmt an den Wiesbadener Literaturtagen teil und vieles mehr. 1997 erschien ihr Buch „menschenorts“ mit Gedichten, Bildern und Prosa.
Dichtung und Malerei gehören bei Anne-Marie Salome Brenner so eng zusammen, weil Kunst und Leben eine Einheit bilden. Diese Einheit von Leben und Werk ist wesentlich für sie und ihre Kunst. Wenn Sie ins Atelier geht, hat sie keine Vorstellung, wie das Bild schließlich aussehen wird. Oft ist nicht einmal klar, ob sie malen oder dichten wird. Sie sagt, sie malt oft mit dem Stift, schreibt, mit dem Pinsel in der Hand.
Diese Einheit von Leben und Kunst und die Spannung zwischen Malerei und Dichtung ist wiederum eines der Themen ihrer Dichtung. Besonders deutlich in der Erzählung "Paris!".
Diese Erzählung wird im Mittelpunkt einer Lesung stehen, die ASB hier im Veranstaltungsraum der KSK am 18. Mai geben wird.
Aber noch einige Worte zu den Bildern die Sie hier sehen:
Die Auswahl für diese Ausstellung umfaßt nicht einmal ein Zehntel des Gesamtwerks mit und hat ihren Schwerpunkt auf neueren Bildern. Aber auch eine Reihe von frührern Werken, bis zurück zu einem Selbstportrait von 1977 sind zu sehen.
Die Gesichter, Landschaften und Wesen im Titel meinen nicht getrennte Genres, sondern sie befinden sich in ständigen Metamorphosen: Das Malen selbst, also das Leben, führt zu Übergängen zwischen Mensch und Tier, zwischen belebt und unbelebt. Haare werden zu Blättern, Blätter zu Fischen. Es gibt nicht nur eine grandiose "Landschaft mit Tier", auch die Landschaft selbst ist lebendig und regt sich, Häuser ducken sich wie Tiere, Tiere erwachsen aus ihr wie Pflanzen.
Bedeutsam sind die ins Gegenteil umschlagende Formen: ein Tropfen ist zugleich Träne und gießt eine Pflanze, auch zur Sonne kann er werden. Ein und dieselbe Form kann und tödliche Wunde und gebärende Vulva sein, ein Rot zugleich das von Blut und das einer Blüte.
Immer wieder spürt man ein Entsetzen, eine Verletzung, und zugleich bildet die Kraft der Farben und die der bildnerischen Form den Gegensatz und das Gegenwort dazu. Dabei ist diese "Durchgeformtheit" nicht das Ergebnis eines bildnerischen Konzepts, sondern sie entsteht spontan beim Malen selbst – verbunden natürlich mit einer Menge harter Arbeit und dem Mut, sich darauf ein- und alle Absichten hinter sich zu lassen.
Die Nähe von Gewalt und Tod wird bezeugt und zugleich die Kraft der Fantsie und der Liebe dagegengesetzt. Wie auf dem großen Bild auf fünf Leinwänden dieses Skeletthafte Wesen, das erschreckendes Skelett und in seiner Menschlichkeit anrührendes Wesen zugleich ist, das einen eindringlich anblickt. In der Kunst und in der Dichtung geht es immer um Leben und Tod.
Paul Celan schreibt: "Geh mit der Kunst in deine allereigenste Enge: und setze dich frei". Von seinen Gedichten sagt er... – und meint alle im eigentlichen Sinne heutige Kunst, und diese Kunst ist eine heutige, eine zeitgenössische Kunst, auch wenn sie nicht so aussieht, wie viele Zeitgenossen es sich vorstellen – nicht nur von seinen Gedichten also sagt Celan, daß sie, gerade indem sie "in ihrer allereigensten Sache" sprechen, auch "in eines anderen Sache Sprechen", daß also auch ein Anderes und ein Anderer frei werden kann.
Anne-Marie Salome Brenner ist mit ihren Bildern in ihre allereigenste Enge gegangen, immer und immer wieder. Und sie hat sich freigesetzt, sich und diese Bilder, diese Gegenwelten, immer wieder aufs neue. Die Enge, durch die sie dabei muß – der Kern, den Sie auf diese Weise trifft – ist nun durchaus ein sehr individueller und persönlicher, aber eben nicht ein privater. Er liegt im Innersten des Menschlichen selbst. Die Bilder geben uns nun die Chance, indem wir sie wahrnehmen, uns in diesem Menschlichen und dieses Menschliche in uns wiederzufinden.
Heino Schmull